Wegbegleiterin mit Herz Geschichten Vera Erb
Vera Erb : Das Katzenmädchen Lina bringt Licht in die Dunkelheit.
Es war einmal ein Katzenmädchen, das hieß Lina. Sie lebte mit ihrem Vater und ihrer Mutter in einem alten dunklen Haus am Waldrand. Lange waren sie eine richtig glückliche Katzenfamilie. Doch dann wurde ihre geliebte Katzenmuttermutter schwer krank .Sie wollten nicht aufgeben, daran zu glauben, dass sie wieder gesund wird, und Lina und ihr Vater verbrachten ganz viel Zeit mit ihr. Doch sie wurde schwächer und schwächer und schließlich starb sie.
Einige Wochen nach dem Tod der Katzenmutter wurde Linas schönes weißes Fell immer struppiger, ihr Bauch immer rundlicher und ihre schönen blauen Augen immer trauriger. Sie wurde immer ruhiger und fühlte sich einsam. Niemand nahm ihre Ängste, ihre Traurigkeit, Wut und Hilflosigkeit und ihre ganzen Fragen ernst. Ihre Freunde aus dem Wald verstanden Lina nicht mehr, machten sich über sie lustig und zogen sich immer mehr von ihr zurück. Zuhause kümmerte sie sich um den Haushalt, machte die Wäsche, kochte und tröstete ihren Vater.
Wenn die Arbeit im Haus erledigt war, saß sie oft ganz allein auf einem kalten Stein unter dem Baum am Haus, der mittlerweile ganz verdorrt war. Eines Tages, als sie wieder einmal allein auf dem Stein saß, hörte sie über sich eine leise Stimme ihren Namen rufen. Sie dachte, wer will denn da was von mir. Sie schaute nach oben und erschrak, denn dort saß eine dicke Kröte auf dem Ast. „Igitt! Mach, dass du wegkommst“, rief sie und schlug nach ihr. Die Kröte aber rührte sich nicht und schaute sie nur freundlich an.
Als Lina am Abend einsam in ihrem dunklen Zimmer im Bett lag und über den trüben Tag nachdachte, bemerkte sie mit Entsetzen, dass es sich die Kröte am Fußende ihres Bettes gemütlich gemacht hatte. „Oh nein!“, dachte Lina, „Jetzt ist die Kröte auch noch in meinem Bett. Ist das eklig!“ Sie packte ihr Kissen und wollte es auf die Kröte werfen. Doch dann traute sie sich das nicht so richtig und fragte die Kröte: „Warum bist du mir gefolgt und wie kommt es, dass du jetzt in meinem Bett hockst?“ Die Kröte krabbelte die Bettdecke nach oben und antwortete: „Ich möchte gerne deine Freundin sein und dir helfen“. „Wobei willst du mir helfen? Ich brauche deine Hilfe nicht!“, entgegnete Lina angewidert. „Doch Lina, ich kann dir einen Weg zeigen, wie du Licht, Leichtigkeit und Freude in diese Dunkelheit hier bringen kannst“, sagte die Kröte. Lina reagierte erneut abweisend und sagte: „Wie willst du dicke Kröte das denn machen?“, worauf diese sich jedoch wieder nicht abwimmeln ließ, sondern ganz ruhig blieb und antwortete: „Lass uns einfach gemeinsam losziehen.“
Als der Katzenvater nochmal ins Zimmer kam und die Kröte sah, schimpfte er und wollte sie nach draußen tragen. Lina rief: „Stopp, das ist meine Freundin!“. Der Katzenvater lachte erstaunt, rief aus: „Wie kann eine Kröte deine Freundin sein“, und verließ kopfschüttelnd den Raum.
Lina sollte sich daraufhin mit der Kröte auf den Weg zu einem Haus machen, das in einer Waldlichtung an einem kleinen See lag. Es war ein langer und schwieriger Weg für Lina, auf dem sie von vielen belächelt und verspottet wurde. Immer wieder fragte sie sich, ob es wohl eine gute Idee gewesen war, mit der Kröte aufzubrechen. Diese aber hielt fest zu Lina und gab ihr das Gefühl, nicht allein zu sein und verstanden zu werden. Auch ermutigte sie das Katzenmädchen immer wieder, weiter mit ihr zu gehen.
Auf dem Weg zur Waldlichtung erklärte sie Lina, dass sie das letzte Stück des Weges zu dem Haus allein bewältigen müsse und wie sie dort das Licht holen könne. Die Kröte sagte: „Auf dem Weg durch den dunklen Wald wirst du verschiedene Dinge finden. Die benötigst du, um einen Schlüssel für die Tür zu bekommen , die dich ins Licht führen wird: Einen Anker, der dir hilft, immer wieder deinen eigenen Weg zu gehen, eine Stofftasche, in die du Dinge packen kannst, die dich traurig machen und belasten, und ein Band, mit dem du Verbindungen zu anderen herstellen kannst. Ganz wichtig ist, dass du an dich glaubst und dich nicht von deinem Weg abbringen lässt. Als erstes wirst du den Anker finden. Befestige ihn an einem Baum und binde das Seil des Ankers um deinen Bauch, damit du den Weg zurückfindest. Wenn du dann die Stofftasche gefunden hast, wirst du auf einen Fuchs treffen. Er wird sich über dich lustig machen und dir sagen, dass du es eh nicht schaffen wirst zur Waldlichtung. Stülpe einfach die Stofftasche über ihn und nimm ihn mit. Als nächstes wirst Du vor einem Spiegel stehen, indem du dich als hässliches Katzenmädchen sehen wirst. Stehe aufrecht und selbstbewusst, lass dich nicht entmutigen und denke daran, es ist nicht die Wirklichkeit. Mit dem Spiegelbild sollst du nur verunsichert werden, um von deinem Weg abzukommen. Gehe durch den Spiegel hindurch. Als letztes wirst du das Band mit dem Schlüssel für das Türschloss finden. Und zwar bei einer Schlange, die erst einmal wirklich gemein zu dir sein wird. Hebe sie trotzdem vom Boden auf und gehe weiter mit ihr“
Die beiden verabschiedeten sich und Lina betrat den dunklen Wald. Dort fand sie wie von der Kröte angekündigt den Anker, befestigte ihn an einem Baumstamm und band sich das Seil um den Bauch, wie es ihr die Kröte geraten hatte. Nach einer Weile hörte sie ein hämisches Lachen. Es war der Fuchs, der sie auslachte und sagte: „Bist du aber ein hässliches Kätzchen! Du schaffst es doch vor lauter Angst gar nicht weiter zu laufen in diesem dunklen Wald. Gehe lieber wieder schnell nach Hause.“ Ihr kamen die Tränen. Am liebsten wäre sie tatsächlich weggelaufen, aber sie nahm all ihren Mut zusammen und stülpte die gefundene Stofftasche über den Fuchs und nahm ihn mit. Vorsichtig ging sie weiter und entdeckte den Spiegel. Als sie die Gestalt darin sah, erschrak sie zunächst heftig, sprang auf und weinte. Dann erinnerte sie sich aber an die Stimme der Kröte, die sagte: „Lina, glaube an dich. Du bist stark.“ Sie wischte sich die Tränen ab, da sprang der Fuchs aus der Tasche ,war gar nicht mehr spöttisch, sondern völlig verwandelt und freundlich und gab ihr ein wunderschönes Herz. Lina nahm das Herz in ihre Pfoten, das Spiegelbild veränderte sich und sie sah sich auf einmal als strahlendes hübsches Katzenmädchen darin. Der Fuchs sagte zu Ihr :“Siehst du wie einzigartig und wertvoll du bist? Nun fiel es Lina leicht durch den Spiegel zu treten. Doch plötzlich wand sich die Schlange direkt vor ihr. Sie sah wirklich nicht freundlich aus, hatte aber das benötigte Band mit dem Schlüssel um ihren Körper gewickelt und zischte angriffslustig: „Das bekommst du nicht!“ Lina überlegte, wie sie die Schlange überreden könne, ihr das Band zu geben und mit ihr zu kommen. Sie dachte an die erste Begegnung mit der Kröte. Sie hatte sie abgelehnt, die Kröte gab aber nicht auf und blieb freundlich. Da beugte sich Lina behutsam runter, streichelte der Schlange mit der Pfote über die glänzende Haut und , nahm sie vorsichtig hoch . Und da schlängelte sich diese vertrauensvoll um ihre Pfote und übergab ihr den Schlüssel. Zusammen mit dem Fuchs gingen sie weiter.
So ganz tief im Wald unterwegs, tat sich schließlich die Waldlichtung mit dem Haus am See vor ihr auf. Am Haus angekommen, steckte sie den Schlüssel in das Schloss der Tür und drehte ihn um. Die Tür sprang auf, und Lina musste sich die Augen zuhalten, so hell war das Licht, das ihr entgegenstrahlte. Sie trat in das Haus. Alles fühlte sich auf einmal so warm und leicht an. In der Mitte des Hauses stand ein Stuhl. Sie setzte sich darauf und schloss die Augen, atmete langsam ein und aus. Da hörte sie die vertraute Stimme ihrer Katzenmutter, die sagte: „Lina, mein kleines Katzenmädchen, denke immer daran, wie einzigartig und wertvoll du bist. Geh deinen Weg aufrichtig und glaube an dich. Es werden dir immer wieder schwierige Situationen begegnen, die dich herausfordern, aber du hast alles was du brauchst in dir, um diese zu meistern. Du wirst an ihnen wachsen und deinen Weg mit Leichtigkeit und Freude gehen. Nun gehe nach Hause. Ich werde immer bei dir sein, auch wenn du mich nicht siehst.“
Von den Worten der verstorbenen Mutter noch tief berührt, trat Lina aus dem Haus., wo ihre neuen Freunde ,der Fuchs und die Schlange ,auf sie warteten. Auch hatten sich mittlerweile alle Waldtiere dort versammelt, um sie nun durch den Wald zu begleiten. Das um ihren Bauch festgemachte Seil des Ankers brauchten sie somit gar nicht mehr ,um zurückzufinden. Der Wald wirkte auch gar nicht mehr so dunkel und bedrohlich und verwandelte sich nach und nach in einen wunderschönen grünen Wald, und die Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach den Boden erreichten, wärmten Lina. Zudem war es geradezu so, als wenn Lina in Licht gehüllt wäre, und überall, wo sie vorbeikam, wurde alles leicht und hell. An der Stelle, wo sie sich verabschiedet hatten ,wartete die Kröte auf sie. Freudig und dankbar sprang Lina auf sie zu und ließ sie auf ihren Rücken steigen . Zu Hause angekommen betrat sie mit ihren Freunden den Garten und auch dort fing sofort alles an zu blühen, und der Baum, unter dem sie oft mit ihrer Mutter gesessen hatte, breitete seine Äste wieder kraftvoll aus und fing an frisches Blattgrün auszutreiben. Lina setzte sich mit ihrem Vater auf den vertrauten Stein, der von den Sonnenstrahlen nun schön angewärmt war. Ihr Vater freute sich, dass sein kleines Mädchen wieder zu Hause war. Die Kröte ,der Fuchs und die Schlange aber lebten bis an ihr Lebensende einträchtig in Linas Zimmer. Ihr schönes weißes Katzenfell war wieder seidig und ihre wunderschönen blauen Augen strahlten.